Chronik der Stadtharmonie Eintracht 

Der grosse Aufbruch! (1954-1959)

1954 trat ein völlig neues, unbelastetes Team an die Vereinsspitze. Mit dem Präsidenten Willi Kern, dem Vizepräsidenten Franz Hersche und einem neuen Vorstand hatte die Eintracht einen zündenden Motor: Mit unermüdlichem Einsatz und viel Geschick brachten sie die Musik wieder auf Touren.

Gemäss Jahresbericht war die neue Vereinsführung "vom Willen besessen, der Eintracht den Ruf der besten Musik im grossen Umkreis zu verschaffen." Für dieses heroische Anliegen mussten alte Zöpfe abgeschnitten und neue Herausforderungen angepackt werden. Ein wichtiger Schritt zur Gesundung der Vereinsfinanzen war die Reform der Passivenkasse. In den vorangehenden Jahren kam es oft vor, dass die Spenden der "Blechmusikanten" eingezogen und gleich wieder für die Zeche ausgegeben wurden. Ein neuer Passivenkassier schaffte dem Abhilfe und lancierte eine Werbeaktion, die dem Verein innerhalb eines Jahres mehr als hundert neue Passivmitglieder bescherte.

Auch in musikalischer Hinsicht gab es neue Impulse. Schon 1954 traten sechs routinierte Bläser in die Eintracht ein und verstärkten sie beträchtlich. Im gleichen Jahr beschloss der Verein, sogenannte "Arban-Schulen" zu Selbstkosten abzugeben. Die Einträchtler sollten schnellstmöglich an ihrer Ton- und Fingertechnik feilen! Ein unmotivierter Dirigent, dem unter anderem die Jugendförderung zu wenig am Herzen lag, wurde 1956 entlassen. Das gleiche geschah mit zwei Bläsern, die den Probebetrieb wiederholt empfindlich gestört hatten.

Willi Kern, der neue Präsident, lebte seinen Musikanten vor, was er auch von ihnen erwartete. Zielstrebig, engagiert und stets um eine gute Kameradschaft besorgt, brachte er den Verein voran. Mit viel Geschick und Ausdauer verhandelte er mit den Stadtbehörden und machte gute Werbung für die Eintracht. Auch seine unzähligen Motivations- und Dankesschreiben an Aktiv- und Passivmitglieder der "Eintracht-Familie" verfehlten ihre Wirkung nicht.

Wie mit dem Sputnik 1957 ging es deshalb auch mit der Eintracht bald in neue Höhen. Auf verschiedenen Bühnen erzielte sie beachtliche Erfolge. Nach dem Jahreskonzert 1954 schrieb die Zeitung: "Man kennt die Eintracht nicht wieder." Auch die Abendunterhaltungen der folgenden Jahre konnten durchwegs als gelungen bezeichnet werden. Die Mischung aus Klamauk und eingängigen Melodien kam beim Publikum gut an. In ihrer "Nebendisziplin", der Fasnacht, gewann die Eintracht 1955 gar den ersten Preis aller Musikkorps beim Umzug von Zürich! Im gleichen Jahr fand in Rorschach das bisher grösste Eintracht-Fest statt. Über 2'000 Besucher waren zugegen, als der Verein sein 50-jähriges Bestehen feierte. Es muss eine knisternde Atmosphäre gewesen sein, beim Jubiläum, denn mit viel Euphorie und einem Augenzwinkern steht im Jahresbericht geschrieben: "Nur zwei Dinge hätte man an diesem schönen Abend tun mögen, entweder mit einem netten kleinen Mädchen in den Gefilden des alten Rheines zu lustwandeln oder dann das Jubelkonzert der Eintracht im Seepark anzuhören."

1956 war es wieder einmal Zeit für eine neue Uniform. Die Musikanten waren mit Ständchen und Marschmusik aufgetreten und mit "Neuunformierungsmarken" von Tür zu Tür gegangen, um das nötige Spendengeld zusammenzubringen. Mit welchem Stolz die Einträchtler ihre hart verdiente neue Kleidung trugen, steht (mit gesunder Übertreibung) im Jahresbericht geschrieben. In schneeweissem Hemd und in Schale seien sie, mit geschwellter Brust und "senkrecht wie Lattenzäune", an der beifallfreudigen Zuschauermenge vorbeimarschiert. Unter den Zuschauern waren viele Musikanten anderer Vereine, denn gleichzeitig mit der Uniformweihe führte die Eintracht den Kreismusiktag durch.

In der neuen schwarzen Uniform unternahm man 1957 die bislang weiteste Vereinsreise. Sie führte über Stuttgart nach Heidelberg. In voller Montur ins Rheinland zu reisen, hatte allerdings nicht nur Vorteile. Die Musikanten wurden vielerorts für Franzosen gehalten, was auch Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg immer noch unterschiedliche Reaktionen hervorrief! Trotzdem war es eine Reise, an die sich ältere Einträchtler sehr gerne erinnern. Ein Ausflug ins Ausland, für viele der erste nach dem Krieg, war eine ganz besondere Sache.

1958 konnte der Verein einen wichtigen politischen Erfolg verbuchen. In einer knappen Abstimmung entschied der Rorschacher Gemeinderat, die Subvention der Eintracht derjenigen der Stadtmusik anzugleichen. De facto erfolgte damit die verdiente Anerkennung als vollwertiger städtischer Musikverein. Dass die Eintracht ihre gesellschaftlichen Pflichten wahrnahm, zeigt sich an einem typischen Jahresprogramm: 1958 erfreute sie ihr Publikum nicht nur bei grösseren Anlässen (Abendunterhaltung, Kreismusiktag in St. Gallen, Feier zur Renovation des Kornhauses), sondern spielte auch für die Kranken, am Muttertag für die Mütter, an diversen Feiertagen für die Kirchgänger, trat bei verschiedenen Anlässen anderer Vereine auf, gab Marschmusik und Ständchen für die Bevölkerung und erwies einem verstorbenen Ehrenmitglied die letzte Ehre. Als Folge des vielfältigen Programms füllte sich der musikalische Terminkalender zusehends. Regelmässig gab es über hundert Zusammenkünfte pro Jahr. Jeder dritte Tag war also (wenn nicht ganz, so doch teilweise) für die Musik gebucht!

Der aufstrebende Verein verdiente aber nicht nur die Anerkennung der Stadt und der Bevölkerung, sondern auch einen ausgezeichneten Dirigenten. Als 1959 ein neuer musikalischer Leiter gesucht werden musste, beschrieb Präsident Willi Kern die Qualitäten des Wunschkandidaten: "Hervorragender Bläser, Konservatoriker, figalant wie das Donnerwetter, konsequent und scharf wie ein Pfeffersack und dazu bescheiden, was den Lohn betrifft." Ein gewisser Jakob Bichsel schien all diese Qualitäten auf sich zu vereinen, immerhin wurde er im Mai 1959 zum neuen Dirigenten der Eintracht gewählt. Mit ihm begann ein neuer Abschnitt in der Vereinsgeschichte. Er durfte ein Korps übernehmen, das sich innert weniger Jahre aufgerappelt hatte und das bereit war für den musikalischen Sprung nach vorne.

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